Gesetzliche Schuldverhältnisse (LL)  

P: Inwieweit sind die §§ 812ff. neben den Ansprüchen auf Nutzungsersatz nach EBV (§§ 987ff.) anwendbar?
 
(Erläuterungen: 1) In vielen Büchern wird der Streit in unvertretbarer Weise in zwei Streits aufgeteilt, nämlich zum einen in die grs. Frage der Sperrwirkung des EBV auf das Bereicherungsrecht und zum anderen in die Frage der analogen Anwendung des § 988 auf den Besitzer, der den Besitz rechtsgrundlos erlangt hat. Tatsächlich hängen beide Streits aber quasi unteilbar miteinander zusammen.

2) Die beiden dargestellten Ansichten führen in Zweipersonenverhältnissen stets zu dem gleichen Ergebnis: Der Besitzer haftet für Nutzungen im Umfang der §§ 818 f. In Dreipersonenverhältnissen erlangen sie aber zu unterschiedlichen Ergebnissen.

3)à  Diese Unterschiede sind in den Ansichten dargestellt und beziehen sich auf folgenden Beispielsfall: Dieb D entwendet Eigentümer E eine Sache und verkauft sie an den unerkannt geisteskranken Besitzer B. E verlangt von B neben der Herausgabe aus § 985 (unproblematisch!) auch Nutzungsersatz. Zu Recht?)  

1) TdL: EBV und §§ 812ff. stehen immer in freier Anspruchskonkurrenz
  • lässt sich mit Wortlaut des § 993 I Hs.2 und dessen Telos, der Privilegierung des redlichen und unverklagten Besitzers, in dieser Pauschalität nicht vereinbaren
 2) Das EBV verdrängt die §§ 812 ff. stets. Eine Analogie zu  § 988 für den rechtsgrundlos erlangten Besitz kommt nicht in Betracht
  • Das Bedürfnis nach Anwendung der §§ 812 ff. zeigt die Überlegung, dass der Käufer, der Besitz und Eigentum an der gekauften Sache erlangt (àkein EBV mangels Vindikationslage!) hat, bei Unwirksamkeit des Kaufvertrags unzweifelhaft nach §§ 812, 818 I unter anderem Herausgabe der gezogenen Nutzungen schuldet. Soll der Käufer, der, weil nicht nur der Kaufvertrag, sondern auch die Übereignung (sog. Doppelnichtigkeit) unwirksam ist, nur den Besitz an der Sache erlangt hat, tatsächlich besser stehen?
3) BGH: Das EBV verdrängt die §§ 812 ff. stets. Allerdings wird dem Bereicherungsrecht faktisch ein großer Anwendungsbereich dadurch eröffnet, dass § 988 (Rechtsfolgenverweisung auf die §§ 818 f.) für die Fälle der rechtsgrundlosen Besitzerlangung analog angewendet wird.
Konsequenz für das Dreipersonenverhältnis: Der Eigentümer kann sich direkt an den Besitzer wenden und muss nicht den Umweg über die besitzverschaffende Drittperson (im Beispiel: D) gehen
  • Geeignete Lösung, um den bei Ansicht 2 aufgezeigten Wertungswiderspruch zu lösen: Die analoge Anwendung des § 988 auf den rechtsgrundlosen Besitzerwerb ist deshalb gerechtfertigt, weil der rechtsgrundlose Besitzer genauso wenig schutzwürdig ist wie der unentgeltliche Besitzer. Denn: in beiden Fällen hat er sich nicht rechtlich wirksam zu einer Gegenleistung verpflichtet (und kann diese deswegen auch wieder nach Bereicherungsrecht zurückverlangen). Mit anderen Worten hat er kein Opfer für die Sache gebracht.
  • das gilt aber nur im Zweipersonenverhältnis. Die dargestellte Folge für das Dreipersonenverhältnis allerdings benachteiligt den redlichen und unverklagten Besitzer über Gebühr, weil ihm so alle Einwendungen aus dem Verhältnis zu D verloren gehen. Das und die dazu spiegelbildliche Privilegierung des Eigentümers widersprechen dem Grundgedanken des EBV.
  • außerdem: läge kein Fall der Doppelnichtigkeit, sondern nur der Nichtigkeit des Kausalgeschäfts (etwa der Kaufvertrag im Verhältnis von B und D) vor, so schiede eine analoge Anwendung des § 988 auf jeden Fall aus. Für eine solche Ungleichbehandlung mit dem Fall der Doppelnichtigkeit lässt sich aber kein sachlicher Grund anführen
4) wohl hL: Das EBV verdrängt die §§ 812 ff. im Grundsatz. Eine Ausnahme besteht aber für die Fälle des rechtsgrundlosen Besitzerwerbs – dort wird die Sperrwirkung des EBV durchbrochen und es kommt zur vollständigen Anwendung der §§ 812 ff
  •  Konsequenz für das Dreipersonenverhältnis: Da es im Verhältnis zwischen B und D eine Leistungsbeziehung gibt, sperrt die Leistungskondiktion eine Nichtleistungskondiktion  im Verhältnis zwischen B und E (sog. Vorrang der Nichtleistungskondiktion). E muss sich also an D wenden

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