Zwangsvollstreckung

Vollstreckungsvereinbarung
Fall:
 
Der Bauunternehmer G hat gegen den Subunternehmer S ein Versäumnisurteil auf Zahlung von 3.200 € erwirkt.
 
Als G mit der Durchführung der Zwangsvollstreckung droht, vereinbaren G und S schriftlich, dass S dem G einen Bagger zur Sicherheit übereignet und dieser dafür in den folgenden 12 Monaten nicht aus dem Titel vollstrecken wird.
 
Nach Ablauf von 2 Monaten lässt G durch den Gerichtsvollzieher im Hauses des S ein Solarium und Fitnessgeräte pfänden.

Der S ist empört und beauftragt Rechtsanwalt R, dagegen vorzugehen. Welche Schritte wird Rechtsanwalt R einleiten?

 

Fraglich ist, welcher Rechtsbehelf hier statthaft ist.
 
I. Begehren des Mandanten

S richtet sich gegen eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme des GV in Form der Pfändung der Gegenstände und beruft sich dabei auf eine mit G getroffene Vereinbarung.

1. In Betracht kommt deshalb, dass die Vereinbarung ein der Vollstreckung entgegenstehendes Vollstreckungshindernis darstellt, sodass die Erinnerung wegen Verfahrensfehlern gem. § 766 ZPO statthaft wäre.

2. In Betracht kommt aber auch, dass er geltend machen will, die titulierte Forderung sei ihm vom Gläubiger für 12 Monate gestundet worden (vgl. § 205 BGB).

Dann würde er eine materiell-rechtliche Einwendung gegen die titulierte Forderung geltend machen, was im Wege der Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO erfolgen müsste.

II. Statthafter Rechtsbehelf

Welcher Rechtsschutz statthaft ist, richtet sich nach dem Charakter der Vereinbarung und ihren Auswirkungen auf das Vollstreckungsverfahren.

Hier könnte eine sog. Vollstreckungsvereinbarung vorliegen, die die titulierte Forderung an sich unberührt lässt, aber die Art und Weise der Zwangsvollstreckung näher regelt. Kann der Wille der Parteien nicht eindeutig festgelegt werden, ist eher von einer Vollstreckungsvereinbarung auszugehen, da der Gläubiger im Zweifel den (häufig mühsam erkämpften) titulierten Anspruch nicht mehr in Frage stellen will.

1. Vorliegen einer Vollstreckungsvereinbarung

Die Parteien haben hier ausdrücklich bestimmt, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Titel unterbleibt, sodass eine Vollstreckungsvereinbarung vorliegt.
 
2. Zulässigkeit einer Vollstreckungsvereinbarung

Ob eine Vollstreckungsvereinbarung zulässig ist oder nicht, richtet sich danach, ob durch sie zwingende Verfahrensvorschriften berührt werden oder die betreffenden Normen der Disposition der Parteien unterliegen.

a. Vollstreckungserweiternde Verträge sind unzulässig, z.B.:

-  Gläubiger darf ohne Klausel oder Titel vollstrecken

- Zwangsvollstreckung soll in anderer Art und Weise erfolgen

- Verzicht auf Schuldnerschutzbestimmungen 

b. Vollstreckungsbeschränkende Verträge sind zulässig, z.B..

-> also Vereinbarungen, die zu Lasten des Gläubigers und zu Gunsten des Schuldners sind

- Beschränkung in zeitlicher Hinsicht: Die Zwangsvollstreckung darf erst ab einem bestimmten Zeitpunkt beginnen oder in einem bestimmten Zeitraum nicht durchgeführt werden.

- Beschränkung in gegenständlicher Hinsicht: Keine Pfändung einer bestimmten Sache; keine Pfändung von Arbeitslohn; Pfändung nur in das Geschäfts-, nicht in das Privatvermögen.

Beschränkung hinsichtlich des Umfanges: Vollstreckung nur für eine begrenzte Summe.

Beschränkung hinsichtlich der Art: Absehen von Verwertung, Ausschluss der eidesstattliChen Versicherung.

-> all das sind Schuldnerschutzvorschriften; das Zwangsvollstreckungsrecht dient dem Schuldnerschutz -> man kann nur nach den Regeln vollstrecken -> daher geht eine Vereinbarung, die noch mehr den Schuldner schützt aber keine, die ihn weniger schützt

Die hier vorliegende Vereinbarung betrifft die zeitliche Beschränkung der Zwangsvollstreckung und ist daher zulässig.

3. Wirkung

Nach h.M. kommt Vollstreckungsvereinbarungen unmittelbar vollstreckungsrechtliche Wirkung zu. Sie ist daher vom GV zu beachten, sofern die schriftliche Vereinbarung vorgelegt wird, § 775 Nr. 4, 5 ZPO analog.

(mM irrelevant)

-> der GV muss sich an solche Vereinbarungen halten

-> aber: formalisiertes Verfahren: eine mündliche Vereinbarung ist zwar wirksam, aber der GV kann das so nicht prüfen -> faktischer Formzwang

-> daher als Anwalt die Vereinbarung zu schließen raten schriftlich zu schließen

4. Umstritten ist, welcher Rechtsbehelf statthaft ist. 

a. Der BGH und ein Teil der Lit. verweist den Schuldner ausschließlich auf die Möglichkeit einer Vollstreckungsgegenklage analog § 767 ZPO.

BGH: „Denn daraus, dass § 767 Abs. 2 ZPO die Rechtskraftwirkung unanfechtbar gewordener Entscheidungen sichern will und die Rechtskraft als solche nicht der Parteidisposition unterliegt, folgt nicht, dass die Parteien auch gehindert wären, ihre Rechtsbeziehungen abweichend von einer rechtskräftigen Entscheidung neu zu gestalten. Insbesondere kann sich der Gläubiger gegenüber dem Schuldner rechtswirksam verpflichten, von einem erwirkten Titel ganz oder teilweise keinen Gebrauch zu machen. Durch eine solche Vereinbarung nehmen die Parteien dem Titel zwar nicht die Vollstreckbarkeit, wohl aber wird durch sie dem Schuldner die Möglichkeit eröffnet, gegen die weitere Zwangsvollstreckung im Wege der Klage nach § 767 ZPO vorzugehen. "
 
b. Nach anderer Ansicht ist zu differenzieren:
  • Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO, wenn Vereinbarung das vom GV zu beobachtende Verfahren betrifft.
  • Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO, sofern auch Streit über Auslegung und Tragweite der Abrede besteht, da deren Beurteilung nicht durch den GV erfolgen kann, sondern eine Klärung im Klageverfahren vorzunehmen ist.

Da kein Streit um Inhalt der Abrede besteht, wäre nach dieser Meinung Erinnerung gem. § 766 ZPO prozessual geboten.


Rechtsanwalt R wird also dem BGH folgend Vollstreckungsabwehrklage, § 767 ZPO, erheben, es sei denn —je nach OLG-Bezirk — folgt die regionale Rspr. der Gegenauffassung, wonach die (kostengünstigere!) Erinnerung, § 766 ZPO, einzulegen wäre.
 
-> im Ergebnis wird es in der Klausur um materielles Recht/ einen inhaltlichen Streit gehen, da sonst langweilig --> in dem Fall kommen beide Ansichten dann zu § 767 ZPO --> eine Entscheidung ist dann nicht nötig
 
Falls wir uns entscheiden müssen: dann das eingelegte Rechtsmittel als das richtige nehmen

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