Zwangsvollstreckung

Fall (Alpmann)
 
Die Telecom hatte gegen den Schuldner S einen Vollstreckungsbescheid auf Zahlung rückständiger Telefongebühren von 380 € erwirkt. Unter Übergabe der vollstreckbaren Ausfertigung des Titels und der Zustellungsurkunde beantragt sie beim zuständigen Gerichtsvollzieher die Zwangsvollstreckung. Der Gerichtsvollzieher pfändet in der ehelichen Wohnung des S eine Dampfbügelstation „Laura" samt Dampfsauger.
 
Die Ehefrau F geht zu Rechtsanwalt R und bittet um Rat. Sie habe dem Gerichtsvollzieher durch Vorlage der Kaufquittung doch ihr Alleineigentum an den Geräten nachgewiesen. Ferner benötige sie unbedingt die Geräte, da das Hemdenbügeln so schneller gehe als mit ihrem kleinen Bügeleisen. Den Dampfsauger setzte sie zusätzlich zu ihrem Staubsauger ein, um hygienische Verhältnisse zu haben.

Schließlich habe sie einen ordentlichen Haushalt. Welchen Rat wird RA R erteilen?

Erster Teil: In Betracht kommt eine Erinnerung, § 766 ZPO.
 
A. Zulässigkeit der Erinnerung
I. Statthaftigkeit, § 766 ZPO
Die Erinnerung nach § 766 ZPO ist statthaft, wenn der Antragsteller die Verletzung vollstreckungsverfahrensrechtlicher Vorschriften geltend macht.
 
1. Eigentum der F -> (-)
> führt nicht zur Statthaftigkeit, da kein formeller Fehler
> Ausnahme nur bei offensichtlichen Dritteigentum
 
Die Berufung auf das Eigentum ist Einwendung aus dem materiellen Recht. Die Eigentumsverhältnisse an der gepfändeten Sache werden vom GV grds. nicht geprüft, da in der Vollstreckung in bewegliche Sachen gem. §§ 808, 809 ZPO ausschließlich der Gewahrsam an der Sache maßgeblich ist (Grundsatz der Formalisierung der Zwangsvollstreckung).
 
Anm.
Eine Ausnahme gilt nur für evidentes Dritteigentum (z.B. Handwerker zur Reparatur übergebene Gegenstände; Pelzmantel in der Reinigung). Pfändet der GV diese Gegenstände, kann sich der Eigentümer sowohl mit § 771 ZPO wie auch mit § 766 ZPO zur Wehr setzen; die Pfändung evidenten Dritteigenturns begründet auch einen Verfahrensmangel 
 
Klausurtipp:
Falls ein Einwand des Antragstellers mit der Erinnerung gem. § 766 ZPO nicht geltend gemacht den kann, führt dies nicht zur teilweisen Unzulässigkeit der Erinnerung.
  • Folge: Keine Auswirkungen auf Tenor und Kostenentscheidung.
  • Grund: Für den Antragsteller besteht schon kein Zwang zur Begründung der Erinnerung. Daher kann eine unstatthafte Begründung nicht zur (teilweisen) Unzulässigkeit führen.
 
2. Drittgewahrsam — § 809 ZPO -> (+)
> Drittgewahrsam ist formeller Fehler > Statthaftigkeit (+); man macht dies an § 809 fest
 
- § 809 ZPO ist eine verfahrensrechtliche Vorschrift, da die Gewahrsamsverhältnisse vom GV bei der Pfändung zu beachten sind.
 
-> Der Einwand ist statthaft.
 
3. 811 Abs. 1 Nr. 1 ZPO -> (+)
> formeller Fehler
auch Pfändungsschutzbestimmungen betreffen das vom GV zu beobachtende Verfahren.
 
Die Erinnerung ist gem. § 766 ZPO statthaft.
 
II. Erinnerungsbefugnis
- bei Schuldner immer (+)
- wenn Dritte Person; ausführlicher prüfen!
 
F als Dritte ist nur dann beschwert, wenn sie eine Verletzung zumindest auch ihrem Schutz dienender verfahrensrechtlicher Vorschriften geltend machen kann.
 
1. Die Zwangsvollstreckungsmaßnahme greift auch in ihre Rechtssphäre (Haushalt) ein.
 
2. Drittschützende Normen
Die §§ 809, 811 Nr. I ZPO sind drittschützende Normen.
  •  § 809 ZPO schützt nach h.M. ausschließlich und gerade den Dritten, der zumindest Mitgewahrsam an der zu pfändenden Sache hat 
  •  § 811 Abs. 1 Nr. I ZPO schützt auch die in häuslicher Gemeinschaft mit dem Schuldner lebenden Familienangehörigen 
 
F ist folglich als Dritte beschwert und damit erinnerungsbefugt.
 
B. Begründetheit der Erinnerung
Fraglich ist hier nur, ob die erfolgte Pfändung in „rechter Art und Weise" durchgeführt wurde, also ob der Pfändungsvorgang ordnungsgemäß war.
 
I. Verletzung von § 809 ZPO
In Betracht kommt eine Verletzung des Mitgewahrsams der nicht herausgabebereiten Ehefrau gem. § 809 ZPO.
 
Anm.

Ist der Dritte nicht zur Herausgabe zwecks Pfändung und späterer Verwertung bereit, kann der Gläubiger allenfalls gem. §§ 846, 847 Abs. I ZPO vorgehen: Er muss einen etwaigen Herausgabeanspruch des Schuldners gegen den Dritten pfänden und anordnen lassen, dass der Dritte die Sache an den GV herauszugeben hat.

1. Gewahrsamsverhältnisse

Die Pfandsache steht in der ehelichen Wohnung, sodass F wegen der leicht erkennbaren Mitsachherrschaft auch Mitgewahrsamsinhaberin gewesen ist. 

Danach ist zumindest Mitgewahrsam der Frau F anzunehmen.
 
2. Gewahrsamsfiktion des § 739 Abs. 1 ZPO

Dennoch gilt gem. § 739 Abs. 1 ZPO der schuldende Ehemann zugunsten der Gläubiger als Alleingewahrsamsinhaber, wenn und soweit gem. § 1362 BGB Alleineigentum des Ehemannes vermutet wird. Dies ist hier gem. § 1362 Abs. I S. I BGB der Fall.

a. Widerlegung der Vermutung durch Vorlage der Kaufbelege?

Da der Gerichtsvollzieher im Rahmen der Zwangsvollstreckung die Eigentumslage nicht zu prüfen hat, gilt nach ganz h.M. die Vermutung des § 1362 Abs. I S. 1 BGB und damit die Fiktion des § 739 ZPO selbst dann, wenn der nichtschuldende Ehegatte sein (Alleinoder Mit-)Eigentum behauptet und durch entsprechende Urkunden belegt.

-> unwiderlegliche Vermutung! 

Grund: Grundstruktur der kongruenten Prüfung -> GV kann Eigentum nicht prüfen 

 „Es ist umstritten, ob bei Widerlegung der Eigentumsvermutung des § 1362 BGB auch die daraufaufbauende Gewahrsamsvennutung des § 739 ZPO entfällt.

tvA: nimmt ausdrücklich auf § 1362 BGB Bezug. Ist dessen Eigentumsvermutu,ng entkräftet — etwa weil dem Gerichtsvollzieher das Eigentum des anderen Ehegatten nachgewiesen wird —, so ist § 739 ZPO bereits tatbestandlich nicht erfüllt. Vollstreckt der Gerichtsvollzieher gleichwohl, dann verletzt er § 809 ZPO, wenn der andere Ehegatte tatsächlich Gewahrsam hat.

ghM: Widerlegung der Eigentumsvennutung des § 1362 BGB ausgeschlossen, soweit sie bei § 739 ZPO Grundlage der Gewahrsamsvermutung bildet. Andernfalls wäre der Gerichtsvollzieher, um sich auf § 739 ZPO stützen zu können, zur Prüfung der Eigentumslage verpflichtet, falls der Vermutung des § 1362 BGB widersprochen wird. Dazu ist er als Organ des ersten Zugriffs weder zuständig noch in der Lage. § 739 ZPO ist also in jeder Beziehung unwiderleglich.

Der nicht schuldende Ehegatte kann sein Eigentum allerdings im Wege der Drittwiderspruchsklage (§ 77] ZPO) zur Geltung bringen. In diesem Verfahren der Drittwiderspruchsklage sind im gerichtlichen Verfahren die Eigentumsverhältnisse nachhaltiger feststellbar als vom Gerichtsvollzieher vor Ort allein aufgrund des Vortrages des Schuldners oder seines Ehegatten.

Die Rechtsfolgen der 1362 Abs. 1 S. I BGB, 739 ZPO sind damit für die ZV durch den GV unwiderlegbar .

b. Im Rahmen des § 766 ZPO ist daher nur zu prüfen, ob der Gerichtsvollzieher entgegen der Eigentumsvermutung des § 1362 Abs. I S. I BGB vollstreckt hat. Insoweit besteht kongruente Prüfungskompetenz des Vollstreckungsgerichts mit dem Gerichtsvollzieher.

Entscheidend ist also allein, ob seinerzeit bei der Pfändung der Vermutungstatbestand des § 1362 Abs. 1 S. 1 BGB vorgelegen hat.

aa) Besitz eines oder beider Ehegatten lag hier vor.

bb) Kein Getrenntleben und Besitz des Nichtschuldners, § 1362 Abs. 1 S. 2 BGB, hier (+).

cc) Kein persönlicher Gebrauchsgegenstand, § 1362 Abs. 2 BGB, da eng auszulegen!

§ 809 ZPO ist daher nicht verletzt.
 
II. Verletzung von § 811 Abs. 1 Nr. 1 ZPO

Geschützt sind nur Haushaltsgeräte, die einer angemessenen und bescheidenen Lebensführung dienen.

Hierunter fallen zwar das Bügeleisen sowie ein Staubsauger. Die hier gepfändete „edle" Dampfbügelstation aber nicht, denn sie dient lediglich der Arbeitserleichterung. Auch ein Dampfsauger ist „Luxus" und daher pfändbar.

Somit ist hier kein Verstoß gegen § 811 Abs. 1 ZPO anzunehmen.

III. Auch ein Verstoß gegen § 812 ZPO ist nicht ersichtlich, da zu erwarten ist, dass die neuwertigen Geräte auch entsprechenden Erfolg in der Zwangsversteigerung erbringen.

Ergebnis: Eine Erinnerung ist nicht Erfolg versprechend.

-> in Klausur ist dieses Ergebnis zu erwarten, um noch DWK prüfen zu können

Zweiter Teil: In Betracht kommt eine Drittwiderspruchsklage, § 771 ZPO.

A. Zulässigkeit der Drittwiderspruchsklage
 
I. Statthaftigkeit

Da F keine ZV-Schuldnerin, mithin Dritte ist, kann sie ihr Eigentum an den gepfändeten Geräten als Interventionsrecht geltend machen.

II. Zuständigkeit des Gerichts

1. Örtlich zuständig ist gem. § 771 Abs. 1, § 802 ZPO ausschließlich das Gericht, in dessen Bezirk die Zwangsvollstreckung erfolgte.

2. Da die sachliche Zuständigkeit nicht gesondert geregelt ist, richtet sich diese nach dem Streitwert. Somit ist hier das AG zuständig, § 23 Abs. 1 Nr. 1 GVG.
 
III. Rechtsschutzbedürfnis besteht, da die Zwangsvollstreckung mangels Versteigerung noch nicht beendet ist.
 
B. Begründetheit der Drittwiderspruchsklage
 
I. Bestehen des Interventionrechts für F

Zwar spricht gegen das Eigentum der F zunächst die Vermutung des § 1362 Abs. I BGB; jedoch ist diese im Prozess nach § 771 ZPO widerlegbar, s.o.

BGH „ Umstritten ist jedoch die Frage, ob ihm dabei auch die Vermutung des § 1006 II BGB zugute kommt.
 
Nach der Rspr. des RG verdrängt die Bestimmung des § 1362 1 BGB die Wirkung des § 1006 BGB in vollem Umfang,
 
Demgegenüber steht die überwiegende Meinung und heutige Rspr auf dem Standpunkt, § 1362 BGB lasse die Möglichkeit unberührt, sich für die Zeit vor der Ehe auf § 1006 II BGB zu berufen.
arg:
- § 1362 Abs. 1 BGB will den Gläubigern den Zugriff auf das Vermögen der Ehegatten nur deshalb erleichtern, weil der gemeinsame Haushalt die eindeutige Zuordnung der einzelnen Gegenstände zum Eigentum des Mannes oder der Frau häufig erschwert .
- Für den Außenstehenden ist in der Regel nicht ersichtlich, welche Gegenstände jeder Partner bereits in die Ehe eingebracht hat. Durch die Führung eines gemeinsamen Haushalts kommt es zu einer tatsächlichen Vermischung der bis dahin vorhandenen beweglichen Habe. Bei den während der Ehe angeschafften Sachen ist oftmals nicht hinreichend erkennbar, ob sie gemeinsam oder nur von einem Ehepartner zu Eigentum erworben wurden. Führt der nichtschuldende Ehegatte jedoch den Nachweis, dass er die streitbefangene Sache schon vor der Ehe besaß, so geht es um den Eigentumserwerb zu einer Zeit, als die Voraussetzung, an die die Rechtsfolge des § 1362 Abs. 1 BGB anknüpft — der gemeinsame Haushalt nach der Eheschließung — noch nicht gegeben war. Ohne dieses Merkmal entfällt die generelle Schutzbedürftigkeit der Gläubiger, die die Vermutung zum Nachteil der Eheleute rechtfertigt. Für die Zeit vor der Ehe hat es daher bei der allgemeinen Regelung des § 1006 BGB zu verbleiben. Ob dann etwas anderes gilt, wenn schon damals ein gemeinsamer Haushalt bestanden hat, braucht der Senat nicht zu entscheiden; denn ein solcher Sachverhalt ist nicht vorgetragen.
 
üblicherweise ist hier Ende der Klausur
 
II. Berufung auf das Interventionsrecht treuwidrig?

dies ist gut denkbar in Klausur; ändert Ergebnis komplett; daher unbedingt daran denken! in diesem Fall:

Titel, der gegen Ehegatten erstritten wird, fällt unter § 1357 BGB -> Ehefrau wird daher mitverpflichtet -> haften gesamtschuldnerisch -> daher ist eine DKW rechtsmissbräuchlich

Hier ist jedoch zu erwägen, ob eine Berufung auf das Interventionsrecht als „Dritte" treuwidrig ist, § 242 BGB.

Denn als Ehefrau haftet sie gem. § 1357 I 2 BGB gesamtschuldnerisch für die Kosten des Telefonanschlusses.

Da somit F selbst auf die titulierte Forderung haftet, ist es treuwidrig, wenn sie formal geltend macht, dass gegen sie kein Titel existiere.

Damit hätte auch eine Drittwiderspruchsklage keinen Erfolg.

-> in Anwaltsklausur dann keine Klage, sondern Mandantenschreiben mit Rat keine Klage einzureichen

Hinweis:

selbes gilt bei gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaft; § 1362 und § 1357 gelten über § 8 II LPartG

bei nicht ehelichen Lebensgemeinschaften: 

Erinnerung: hier keine Gewahrsamsfiktion nach § 739 ZPO; analoge Anwendung (-) -> daher Verstoß gegen § 809 -> Erinnerung (+)

DWK: kein § 1362 und § 1357 anwendbar -> DWK (+)

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